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Erinnerungen an Grenze, Stacheldraht und Wiedervereinigung

Video 50 Jahre Mauerbau

Grenzwanderung der TA

Gedenkfeier 40 Jahre Mauerbau (2001)
– ein Zeitzeuge berichtet

Rede von Heinz Grimm

Ich bin Heinz Grimm aus Treffurt und wurde im Juni 80 Jahre alt. Beim Mauerbau war ich 40.

Die Zeit des Mauerbaues 1961 in Berlin war für uns keine neue Erfahrung. Am 26.6.52 feierten wir gerade meinen Geburtstag. Mein Schwiegervater kam mit der Nachricht "Heute ist der letzte Zug nach Treffurt gefahren". Er war Zugschaffner. Am nächsten Tag war auch die neutrale Straße nach Großburschla zu, wir konnten nicht mehr nach Heldra einkaufen. Wir wurden aufgeklärt, der Grundlagenvertrag zwischen der BRD und den Westmächten mache diese Maßnahme notwendig.

Diskussionen gab es, aber man war sehr vorsichtig. Erst Anfang Mai war H. Baumbach von der GPU verhaftet. Es gab keine Spur. Mit seiner Frau habe ich mich überall in Eisenach um Aufklärung bemüht. Vergebens. In einem Brief an den "Bund freiheitlicher Juristen" in Westberlin schilderte ich die Situation. Durch den Russenposten auf der neutralen Strasse gab ich ihn bei der BGS an der Feldmühle ab. H. Baumbach hat Treffurt nie wieder gesehen.

Am 8.6.52 wurden elf Familien bei der Aktion "Ungeziefer" aus Treffurt ausgewiesen. Darunter der Betriebsleiter der Zigarrenfabrik, dabei ein Altkommunist mit sieben Kindern im Alter zwischen zwei und elf Jahren. Dazu der Landrat aus Meiningen vor Einsatzkräften: "Sie haben die Aufgabe morgen früh aus den Grenzdörfern Familien zu transportieren. Es handelt sich um Schieber, Saboteure, Betriebsleiter, die aus Böswilligkeit ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, Sittlichkeitsverbrecher usw. Nun fahrt hin und holt diese Lumpen."

1953 begann ich von der Straße weg als Sportlehrer an der Berufsschule in Treffurt. Auf Anraten des stellv. Bürgermeisters trat ich in die CDU ein. Jetzt war ich Blockbruder. 1955-1960 absolvierte ich ein Fernstudium an der DHfK in Leipzig. Diplomsportlehrer mit der Note gut, auch im Studiengang Marxismus-Leninismus eine zwei.

Den Mauerbau konnten wir im Hörfunk verfolgen. Die Richtung der Fernsehantennen wurde kontrolliert. Ein Stift im Fernseher verhinderte die Wahl der Westsender. Am Ortsausgang begann der Bau des zweiten Zaunes. Wir wurden Sperrzone. Anfangs jeden Monat kam ein Stempel in den Ausweis. 15% Sperrzonenzuschlag, bei mir etwa 80 Mark.

Im Oktober bildete unser Schulparteisekretär eine Agitationsgruppe. In den Vorlesungen ging es um die Aggression der Westmächte und die Rettung des Friedens durch den "antifaschistischen Schutzwall". Mein Part bestand in der Würdigung der logistischen Meisterleistung Erich Honeckers beim Mauerbau. In Großburschla lasen wir fast vor leerem Hause.

Extra sieben Wochen nach dem Bau der Mauer erfolgte am 3.Oktober 1961 eine weitere Ausweisung unter dem poetischem Namen "Kornblume". Alle betroffenen Häuser waren von Kampfgruppen, mit Kalaschnikows im Anschlag, abgeschirmt. Die Anwohner schlichen vorbei an die Arbeit oder standen hinter den Gardinen. Diskutieren, Protestieren, wem konnte man trauen?

Zwei Tage danach ein Einwohnerforum im Stern mit dem Minister für Postwesen. In seinem Referat die Begründung der Notwendigkeit dieser Maßnahmen. Auf meine Frage: "Wieso Herr K. Herold?" Er ist sehr angesehen als Vorsteher des Postamtes, war immer Wahlleiter in unserem Wahlbezirk, seine ruhige besonnene Art galt etwas in der CDU. Die Antwort von unserem Schulparteisekretär: "Herold hat Pakete von Republikflüchtlingen weitergeleitet, Telefonate nach dem Westen vermittelt und das Gerücht verbreitet 'an der Grenze würden Minen gelegt', dies sei besonders verwerflich."

Tags darauf übermittelte mir meine Frau von einem Arbeitskollegen und Hilfspolizisten: "Wenn Heinz nicht den Mund hält, ist er auch dabei".

Herr Herold hat Treffurt nicht mehr wieder gesehen. Er starb 1972 in Eschwege. Sein Sohn, Lehrer in Heyerode, durfte nicht nach Eschwege zur Beisetzung.

Mein Vater starb 1962. Mein Bruder aus dem Westen durfte nicht an der Beerdigung teilnehmen. Pfarrer Hemdt hat am Grabe um ein Fernsehübertragung für meinen Bruder nach Eisenach gebeten. In dieser Zeit standen Treffurter auf den Dächern und winkten mit Betttüchern, und auf der anderen Seite des Zaunes standen auch Treffurter. Zu Pfingsten war Hochbetrieb.

1999, am zehnten Jahrestag zum Fall der Mauer, schrieb ich folgende Zeilen:

Kerzen zum Friedensgebet

Wir haben die Kerzen getragen
Mit hellwachem Sinn und fester Hand
Und wenn die Enkel einst fragen:
Wir setzten Herzen in Brand.

In Gottes Haus zum Leuchten gebracht
Gegen Stacheldraht, Hass und Tyrannei
Besiegen sie die dunkle Nacht
Und die Allmacht der Partei.

Freiheit in Frieden für unser Land
Das Gebet gab uns Kraft und Zuversicht
Und einer reichte dem anderen die Hand
Dass nie die Flamme erlischt.

Über Heinz Grimm

Erinnerungen an den Mauerbau als PDF

 

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Beobachtungsturm an der ehemaligen Grenze

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